
Für das Superwahljahr 2021 in Deutschland lässt sich die Bilanz ziehen, dass Parteien und Kandidierende viel stärker auf digitale Kommunikation und Kampagnen gesetzt haben als jemals zuvor - vor allem, weil die Corona-Pandemie sie dazu gezwungen hat. Persönliche Begegnungen mit Wähler:innen waren vor allem Anfang 2021 nahezu unmöglich, weshalb sich die Kampagnen stärker auf Social Media konzentrierten.
Superwahljahr 2021
Genau an dieser Stelle haben wir mit Civical einen entscheidenden Beitrag geleistet. Zum ersten Mal konnten Kandidierende auf allen Ebenen unabhängig von ihren digitalen Fähigkeiten, politische Werbeanzeigen in weniger als 2 Minuten auf Facebook und Instagram schalten. Mit dem Content Editor konnten Nutzer:innen eigene Inhalte erstellen und von ihren Parteien und Landesverbänden neue Inhalte erhalten. Über 500 Kandidierende bei den Landtagswahlen und der Bundestagswahl, Parteien und Fraktionen haben mit Civical 40 Millionen Mal Bürger:innen im Superwahljahr erreicht.
„Civical ist die meistgenutzte Software für Politik in Deutschland“
Civical ist innerhalb von einem Jahr Marktführer in Deutschland als meist genutzte Software für politische Kommunikation mit Social Media geworden. Wir machen Social Media und digitale Kommunikation für Politik endlich einfach. Und genau in diese Richtung geht der Trend. Kandidierende, Abgeordnete, Fraktionen und Parteien investieren mehr als je zuvor in ihre digitale Fähigkeiten und Kommunikation, um Bürger:innen zu erreichen. Nach meiner Beobachtung gab es 2021 keine technologische Neuerung im Superwahljahr, die so zugänglich und lösungsorientiert war wie Civical. Vielmehr haben die Kampagnenmanager:innen, Kandidierende und Parteien ihre digitale Fähigkeiten, Infrastruktur und Ressourcen deutlich ausgebaut. Der digitale Wahlkampf 2021 war somit nicht revolutionär, sondern professioneller und lokaler auf allen Kampagnenebenen.
TOP 3 Themen für 2022
1. Die Regulierung von digitaler politischer Werbung kommt!
Im Superwahljahr 2021 veröffentlichten Parteien und NGOs Verhaltenskodexe für digitale politische Kampagnen und Werbung. Am Ende konnten sich die Parteien nicht auf einen gemeinsamen Kodex einigen und die Forderungen von zivilgesellschaftlichen Akteuren waren weder technologisch noch regulatorisch sinnvoll.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber forderte 2021 sogar, dass alle Behörden und Ministerien ihre Facebook Seiten abschalten sollten, weil Facebook sich nicht an die deutschen Datenschutzgesetze hält. Nicht Facebook soll die Betriebserlaubnis in Deutschland verlieren, sondern Behörden, Ministerien und in letzter Konsequenz auch Parteien und Politiker:innen sollen selbst den Stecker auf der größten digitalen Plattform in Deutschland ziehen und somit Bürger:innen dort nicht mehr erreichen. Offensichtlicher kann das eigene politische und regulatorische Versagen nicht artikuliert werden, wenn es um die Nutzung von Facebook durch Politik und Staat geht. Doch das ändert sich 2022 und 2023 zum Glück!
Die europäische Kommission hat einen Gesetzentwurf für die Transparenz und Regulierung von politischer Werbung im November 2021 vorgelegt. Der Entwurf sieht vor, die Transparenz bei der Finanzierung, Schaltung und Kennzeichnung von politischer Werbung zu erhöhen. Des Weiteren sollen Targeting Parameter und die Verwendung von personenbezogenen Daten öffentlich gemacht werden. Ohne explizite Zustimmung von Nutzer:innen soll die Verwendung von Targeting-Parametern nicht mehr möglich sein. Die neue Regulierung soll bis Anfang 2023 eingeführt werden - mit Blick auf die nächsten Europawahlen. Damit geht die Kommission und das europäische Parlament endlich den längst überfälligen Schritt, klare Regeln und Richtlinien für digitale politische Werbung zu setzen. Es bleibt abzuwarten, wie Plattformen darauf reagieren werden. Definitiv wird dieser Gesetzentwurf Kampagnenmanager:innen und Dienstleister:innen im Bereich digitaler politischer Kommunikation im Jahre 2022 beschäftigen und zu Veränderungen führen.
2. Massive Investitionen in GovTech und CivicTech
Mit der neuen Ampel-Koalition zeichnet der Koalitionsvertrag klare Absichten, den digitalen Staat und die digitale Verwaltung massiv auszubauen. Die Corona Pandemie hat schmerzhaft die Defizite der digitalen Infrastruktur im Verhältnis zwischen Staat, Verwaltung und Bürger:innen offengelegt. Deswegen ist mit einem Investitionsboom zu rechnen, um z.B Behördengänge zu digitalisieren, digitales Identitätsmanagement auszubauen oder eine Cloud der öffentlichen Verwaltung aufzubauen. Dabei bekennt sich die Koalition klar zu Open Source Lösungen. GovTech Start-ups werden hierbei eine wichtige Rolle spielen. In den vergangenen Jahren ist in Deutschland der Grundstein für GovTech gelegt worden mit Public.IO, dem GovTech Campus Deutschland und ersten Technologieunternehmen wie Polyteia, die Ende 2021 eine signifikante Finanzierungsrunde mit namhaften Investoren abschließen konnten.
Beachtenswert ist auch, dass die Koalition zum ersten Mal überhaupt, den Begriff „CivicTech“ im Koalitionsvertrag explizit nutzt und fördern möchte. CivicTech definiert Technologie-Lösungen, um die Transparenz und Responsivität zwischen Staat und Bürger:innen zu erhöhen. Es geht um die Beziehung zwischen Staat und Bürger:innen in allen Lebensbereichen basierend auf technologischen Lösungen - von Kommunikation, zur Aufklärung vom staatlichen Handeln, bis hin zur Aufnahme von Stimmungen und Forderungen der Zivilgesellschaft.
3. Digitaler Fachkräftemangel in der Politik und Verwaltung wird sich verschärfen
Genau wie in allen anderen Bereichen, besteht ein Mangel an Fachkräften für digitale politische Kommunikation und Technologie. Digitalisierung von Staat, der politischen Kommunikation und Kampagnen wird auch 2022 weiter voranschreiten. Parteien, Fraktionen, Ministerien und Interessenverbände investieren in ihre digitale Kommunikationsinfrastruktur, Software Frameworks und Social Media Kompetenz. Die Zeiten, in denen Praktikant:innen die digitalen Kanäle betreuen, sind vorbei. Vielmehr geht es um die Fähigkeit effektiv digital zu kommunizieren und Technologietrends und Plattformen professionell zu nutzen. Dafür braucht es Fachkräfte, die dezidierte Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringen. Ich bin überzeugt davon, dass 2022 und in den folgenden Jahren neue Stellen und Fähigkeiten im politischen Ökosystem geschaffen werden, um den Einfluss von Technologie, Software und Plattformen auf die politische Meinungs- und Willensbildung besser umzusetzen. Es braucht mehr Political Natives. Menschen mit politischen Kommunikationsfähigkeiten und einem sicheren Umgang und Gespür für den Einfluss von Technologie auf die digitale Kommunikation von Staat, Politik und Wirtschaft.
TOP 3 Technologietrends für 2022
Technologie für politische Kommunikation und Kampagnen hat in den vergangenen Jahren eine Stagnation erlebt. Zwar sind unglaublich viele neue Start-ups und Software-Lösungen, insbesondere in den USA, in den letzten zwei Jahren entstanden (siehe Higher Ground Labs Landscape 2020), jedoch konzentriert sich der überwiegende Anteil von digitalen Tools auf die Optimierung und Ausdifferenzierung von spezifischen Problemen basierend auf dem existierenden Plattformen und technologischen Rahmenstrukturen des Web 2.0. Dabei gibt es neue Technologietrends, welche in den kommenden Jahren spannende und teilweise revolutionäre Möglichkeiten bieten, um digitale politische Kommunikation komplett neu zu denken. Hier sind drei Technologietrends, denen Political Natives 2022 folgen sollten.
1. Das Metaverse für Politik und Kommunikation
Ich habe in der ersten Kalenderwoche 2022 eine Oculus Quest 2 gekauft, die VR Brille von Meta. Warum? Weil ich herausfinden möchte, wie das Metaverse für Wahlkämpfe und politische Kommunikation genutzt werden könnte. Endgültig zu definieren was das Metaverse ist und sein wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nahezu unmöglich. Es ist keine VR Plattform, sondern eine digitale Welt, welche über VR, Smartphone, Konsole oder PC betreten werden kann, um als digitaler Avatar mit anderen Avataren zu interagieren. Die Vision des Metaverse ist es, jede Form von sozialer und wirtschaftlicher Interaktion in einer digitalen Welt, losgelöst von Schwerkraft, Zeit, Ort oder Grenzen, zu ermöglichen. Hier einige einfache Beispiele wie das Metaverse für politische Kommunikation genutzt werden könnte:
Begehbare Parteien und Wahlprogramme: Im Metaverse könnten Parteien ihre Wahlprogramme begehbar und erlebbar machen. Für jedes Kapitel gibt es eigene dreidimensionale Grafiken, die Möglichkeit mit Expert:innen zu jedem Punkt zu sprechen und an Veranstaltungen zu Themen teilzunehmen. Wahlkampfreden von Spitzenpolitiker:innen im Metaverse wären einfach umzusetzen und Parteien hätten die Möglichkeit mit den Avataren Kampagnen komplett neu zu denken.
Interessensvertretung und Demonstrationen: Jegliche Form von Diskussionsveranstaltungen ist im Metaverse möglich. Sich über Twitter Kommentare, einem Handzeichen in Zoom oder, wie für eine kurze Zeit bei Clubhouse, sich zu melden, wäre obsolet. Die Avatare nehmen an der Diskussion teil, als ob sie persönlich vor Ort wären. Gewerkschaften, NGOs und Hauptstadtrepräsentanzen bauen im Metaverse ihre eigenen Orte, um dort Politiker:innen und Bürger:innen einzuladen. Der Austausch von politischen Positionen, von Dokumenten und aktuellen Themen wäre einfach und für jeden Avatar zugänglich. Vielleicht gibt es aber auch geschlossene Orte im Metaverse für Hintergrundgespräche, die man nur mit Einladung betreten kann. Auch Demonstrationen wären im Metaverse einfach. Eine Gruppe von Menschen versammelt sich in einem digitalen Raum und demonstriert mit selbstgebastelten digitalen Schildern und hört sich Reden und Vorträge an.
Der Bundestag und Bürgersprechstunden im Metaverse: Im nachgebauten Bundestag im Metaverse könnten Abgeordnete sich mit Bürger:innen aus dem Wahlkreis verabreden, oder Diskussionen zu politischen Themen durchführen. Jeder könnte vorbeikommen und vor allem könnten auch mehrere Bürger:innen gleichzeitig von überall an den Gesprächen teilnehmen.
Das sind nur offensichtliche Überlegungen und Übersetzungen ins Metaverse. Es macht Spaß darüber nachzudenken, wie das politische Ökosystem im Metaverse funktionieren würde. Deswegen ist es definitiv lohnenswert diesem Technologietrend in 2022 zu folgen.
2. Blockchain Technologie für staatliche und politische Prozesse
Haben Sie in Kryptowährung investiert? Schon ihr erstes NFT gekauft? Wenn es ein Technologie Buzzword 2021 gab, dann „Blockchain“. Blockchain ist die technologische Grundlage für die Vision des Web 3.0. Während das gegenwärtige Web 2.0 auf Plattformen basiert, die zentralisiert sind und Nutzer:innen die Möglichkeit geben zu interagieren, Inhalte zu erstellen und auszutauschen, ist das Web 3.0 basierend auf Blockchain dezentral. Plattformen sind nicht mehr der Ausgangspunkt von digitalen Interaktionen, sondern Nutzer:innen können datensouverän und anonym digitale Werte und Informationen austauschen und digitale Tools nutzen, die auf öffentlichen oder privaten Blockchains entwickelt wurden. Auch wenn die Blockchain Technologie weiterhin umstritten bleibt, ist es lohnenswert sich Gedanken darüber zu machen, wie sie für politische und staatliche Prozesse genutzt werden könnte. Chris Doten und Ben Gregori vom National Democratic Institute und New America haben in einem Paper zusammengefasst, wie Blockchain-Lösungen das Vertrauen in demokratische Systeme steigern könnte.
3. Self-Sovereign Identity für digitale politische Beteiligung
Der dritte Technologietrend ist eng mit Blockchain verbunden. Das Konzept von Self-Sovereign Identity wird in den kommenden 10 Jahren nicht nur das digitale Identitätsmanagement revolutionieren, sondern auch die Art, wie Daten als politisches Kapital genutzt werden können. Zwischen Bürger:innen und Staat, zwischen Politiker:innen, Parteien und Bürger:innen, oder Interessenverbänden. Der Ansatz von Self-Sovereign Identity (SSI) gibt Individuen die Kontrolle über ihre digitale Identität. Individuen kontrollieren ihre verifizierten Identitätsdaten und sichern diese in einer digitalen kryptoverschlüsselten Wallet. Nur sie können auf diese Krypto-Wallet zugreifen. Möchten Sie sich gegenüber einem anderen User identifizieren, wird die Wallet über einen dezentralisierten Identifier (öffentliche oder private Blockchain) überprüft.
In dieser Krypto-Wallet kann jegliche Form von Informationen und Daten sicher gespeichert werden. Ob der Personalausweis, Führerschein oder eben auch Meinungen und politische Präferenzen und politische Themenschwerpunkte. Der User entscheidet souverän, mit wem, welche Informationen geteilt werden sollen. Dabei ist auch kein Klarname erforderlich. Die Informationen können auch ohne den Namen des Users verifiziert und ausgetauscht werden. Das Konzept von SSI konzentriert sich vor allem auf den Use-Case digitaler Identitätsnachweise. Allerdings gibt es auch spannende Anwendungen darüber hinaus für digitale politische Kommunikation.
Nehmen wir an, Person A möchte eine politische Partei digital unterstützen. Dafür will Person A Neuigkeiten von der Partei empfangen und sich politisch einbringen. Person A legt eine Krypto-Wallet an. Darin gibt Person A ihr Alter, ihre PLZ, ihren Familienstand, ihr Einkommen und ihren Beruf an. Außerdem gibt Person A an, welche drei politischen Themen besonders wichtig für sie sind. Dann sendet Person A die Krypto-Wallet an die Partei. Über Blockchain wird verifiziert, dass die Wallet dem Protokoll entspricht und die Daten im korrekten Format angegeben wurden. Außerdem überprüft die Blockchain, ob die Partei ebenfalls anhand des passenden Protokolls arbeitet. Die Krypto-Wallet von Person A wird geöffnet und die Partei kann auf die Informationen zugreifen. Person A und die Partei haben jetzt einen direkten digitalen Kontaktpunkt und können über die Krypto-Wallets Informationen austauschen, z.B.: Umfragen, Updates zum politischen Programm oder Aufrufe zur Wahlkampfunterstützung.
Entscheidend ist hierbei, dass die Person A anonym gegenüber der Partei bleiben kann. Außerdem kann die Partei nur solange Updates an Person A schicken und auf die Informationen in der Wallet zugreifen, wie Person A dies erlaubt. Löscht Person A den Zugriff auf die Wallet für die Partei, kann die Partei nicht mehr auf die vergangenen und aktuellen Daten der Wallet von Person A zugreifen. Am besten stellt man es sich so vor, das Person A und die Partei gemeinsam jeweils das Ende einer Schnur festhalten. Lässt einer der beiden die Schnur los, verschwinden alle Daten die Person A mit der Partei geteilt hat.
Das Konzept von SSI eröffnet die Möglichkeit für Bürger:innen sich politisch zu beteiligen, ohne das dabei ihre Daten woanders ohne ihre Zustimmung gespeichert werden. Diese Datensouveränität für Bürger:innen ermöglicht politische Beteiligung anonym, verifiziert und verschlüsselt für genau die Organisationen, Themen und Zwecke, die jedem individuell wichtig sind.
Und was wird Civical 2022 aus den Themen und Trends machen?
Mit Civical werden wir in 2022 neue Nutzungsmöglichkeiten entwickeln, die über das erstellen, teilen und koordinieren von Social Media Postings und Werbeanzeigen auf Facebook und Instagram weit hinausgehen. Außerdem wird Civical bald auch in anderen europäischen Ländern verfügbar sein. Für uns steht 2022 die Frage im Mittelpunkt, wie das digitale politische Ökosystem, die Bedürfnisse und Beziehungen zwischen Parteien/Politiker:innen, Interessenvertreter:innen und Bürger:innen aussehen werden.
Mehr dazu verrate ich noch nicht. Schließlich hat das Jahr erst begonnen…
Jochen König
CEO
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